Lindern heute

Rattenkraut - der Linderner Giftmord und die NS-Justiz

Im Februar 1936 ging bei der Linderner Polizeistation eine anonyme Anzeige ein, in der der Landarbeiter Anton Stienken aus Neuenkämpen beschuldigt wurde, seine Ehefrau Maria mit Arsen vergiftet zu haben. Das Opfer lag allerdings schon zehn Monate im Grab auf dem Linderner Friedhof. Nach geheimen Vorbereitungen der Oldenburger Justiz wurde der Verdächtige am Morgen des 25. Februar 1936 unter dramatischen Umständen verhaftet. Er kam nie mehr frei.
Die Exhumierung und Obduktion der Leiche, die umfangreichen Ermittlungen durch die Untersuchungsrichter Harms und von Döllen, die Verhöre von etwa 70 Zeugen, die meisten aus Lindern, mit widersprüchlichen Aussagen, die Irrungen und Wirrungen der Sachverständigen, die langen und aufwühlenden Presseberichte, der Aufsehen erregende Prozess vor dem Schwurgericht, der an einem Tag in die Gaststätte Gardewin in Lindern verlegt wurde, das fragwürdige Todesurteil, Stienkens blutige Hinrichtung am Morgen des 4. November 1937 - all das betraf die Linderner und Lastruper unmittelbar (Lindern gehörte damals zur Gemeinde Lastrup). Viele Monate lang beherrschten die dramatischen Ereignisse die Tagesgespräche in Lindern und Umgebung.
Umso erstaunlicher ist es, dass die Erinnerung daran vor Ort - in Lindern und Lastrup - fast vollkommen verblasst zu sein scheint. Man sprach ungern darüber.
Aber auch in diesem Fall gilt - wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen.

Das Buchprojekt "Rattenkraut - der Linderner Giftmord und die NS-Justiz" (Arbeitstitel) beruht auf der Auswertung der äußerst umfangreichen und akribisch geführten Strafakte der Oldenburger Staatsanwaltschaft, die im Niedersächsischen Landesarchiv erhalten geblieben ist. 
Es schildert die bewegende Geschichte von Opfer und Täter, die Anstrengungen der Ermittler, die Nöte von Angehörigen und Zeugen inmitten von Hörensagen und Gerüchten. Es öffnet gleichzeitig einen spannenden Blick auf die Situation der Oldenburger Justiz nach vier Jahren der NS-Herrschaft (der Freistaat Oldenburg wurde bereits seit Mai 1932 von einer NSDAP-Regierung beherrscht).

Als "Rattenkraut" wurde in dieser Gegend das hochgiftige Arsenpulver bezeichnet, das verbotenerweise zur Bekämpfung von Rattenplagen verwendet wurde.
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